Nachlese zu „Begegnungen mit Christa Wolf“: Annett Gröschner im Gespräch mit Charlotte Misselwitz und Birgit Dahlke

Am 19.04.2016 fand im Literarturforum im Brecht-Haus bereits die dritte „Begegnung mit Christa Wolf“ statt. Auf keinem Podium, sondern auf Augenhöhe direkt gegenüber dem Publikum, saßen drei Frauen, die jede eine eigene Beziehung zu Christa Wolf hat. Annett Gröschner als junge Schriftstellerin, die in der DDR aufwuchs und zuerst mit den Werken Wolfs und dann persönlich mit ihr in Kontakt kam; Charlotte Misselwitz als Journalistin, die bereits verschiedene Beiträge zu und über Leben und Werk Christa Wolfs erstellt hat; Birgit Dahlke als Literaturwissenschaftlerin, die sich in ihrer Forschung u.a. mit dem Werk Christa Wolfs auseinandersetzt und eine Christa und Gerhard Wolf-Arbeitsstelle an der Humboldt-Universität zu Berlin aufbaut.

Im Fokus des Abends standen fünf Träume Annett Gröschners, die sie zwischen 1983 und 1989 stets unmittelbar nach dem Aufstehen verfasst hatte und nun unbearbeitet vorlas. Gemäß einem weit gefassten Begriff von „Begegnung“ ist das Besondere dieser Träume, dass in jedem der kurzen Texte neben anderen Figuren immer auch Christa Wolf auftaucht. Dabei wechseln und verschwimmen die erträumten Orte: ein Hörsaal, ein Sparkassen-Schalterraum, ein Krankenhauszimmer. Und neben Christa Wolf und dem träumenden Ich treten alte Bekannte, Freunde und die Mutter des Ich in Erscheinung. Bis auf den letzten Traum ist Wolf dabei eher passiv, ihr Verhalten wird nur angedeutet, einmal gibt sie Autogramme, einmal spricht sie mit der Mutter, dann wiederum wird sie aus dem Hörsaal abgeholt; beobachtet stets vom reflektierenden Blick des Ich. Erst im letzten der fünf Träume ist es die Traum-Wolf, die dem Ich eine intime Geschichte anvertraut.

Ohne in psychoanalytische Erklärungen abzuschweifen, kontrastierte Annett Gröschner ihre Träume, auf Nachfrage von Charlotte Misselwitz, mit ihrer realen Lebenssituation zum Zeitpunkt der Niederschrift bzw. mit dem Zeitraum, aus dem sich der Traum speiste z.B. ihrer Kindheit. Dabei kam Gröschner auch auf ihr Verhältnis zu Christa Wolf zu sprechen. Zum Zeitpunkt der Träume kannte sie die ältere Autorin nicht persönlich – ein erstes Treffen sollte erst 1996 stattfinden – sondern nur durch Wolfs Texte, an denen sie sich rieb, die sie aufwühlten, nachdenklich stimmten und teils sogar verärgerten.

Wer also ist diese „Christa Wolf“, der Annett Gröschner in ihren Text gewordenen Träumen in einem Zeitraum von über 6 Jahren immer wieder begegnete? Darauf konnte und wollte weder Gröschner selbst, noch ihre Gesprächspartnerinnen Charlotte Misselwitz und Birgit Dahlke, oder das mitdiskutierende Publikum, eine abschließende Antwort finden. Hervorgehoben wurde vielmehr, dass sich in den Träumen ein latentes Spannungsverhältnis zwischen Gröschner und Wolf entwickelt: ein Reiben an und Emanzipieren von der berühmten Schriftstellerin Wolf, hin zum eigenen Autorinnen-Dasein. Tatsächlich erzählte Gröschner am Dienstagabend auch, wie viel es ihr bedeutete, als Christa Wolf noch 2011 aus dem Krankenhaus heraus anrief, um Gröschner für ihren gelungenen Roman „Walpurgistag“ zu gratulieren.

Text: Marina Brafa